Neben der Präsentation von Werken Verschollener Künstlerinnen und Künstler sehen wir unsere Aufgabe auch in der Erforschung und anschließenden Präsentation ihrer Biographien. In der deutschen Wikipedia gibt es eine "Liste der vom NS-Regime verfolgten Kunstschaffenden der Bildenden Kunst", in der es noch viele blinde Flecke - rot dargestellt - gibt. Diese Liste enthält zur Zeit um die 250 Namen, davon rund 90, zu denen es bisher keinen Artikel gibt. Wir sind der Meinung, dass diese Künstler wenigstens einen eigenen Wikipediaratikel haben sollten. Aus diesem Grund haben wir in den letzten Jahren 27 neue Biographien für Wikipedia erstellt und damit die Zahl der blinden Flecke um 25% reduziert. Bei jüdischen Künstlerinnen und Künstlern geben wir diese Informationen in Form von Gedenkblättern an die zentrale Datenbank der Holocaustopfer in Yad Vashem weiter. Sollte es noch keinen Stolperstein geben, beantragen wir auch diesen.
Die Wikipedialiste enthält haupstsächlich Künstlerinnen und Künstler, die einen Bezug zum Deutschen Reich hatten. Die Gesamtzahl der Kunstschaffenden, die in Europa vom NS-Regime verfolgt oder ermordet wurden, ist um ein Vielfaches höher. Exakte Zahlen sind bis heute unbekannt. 2019 wurde die Stiftung "Jewish Digital Cultural Recovery Project" (JDCRP) gegründet, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, diese Zahl zu ermitteln.Im Sommer 2025 wurde eine erste Liste veröffentlicht. Sie umfasst bisher 1.500 Künstlerinnen und Künstler, die durch das NS-Regime verfolgt oder zu Tode gekommen sind. Des weiteren hat sich die Stiftung zur Aufgabe gemacht, die Anzahl jüdischer Sammler zu ermitteln, die im Zuge der Maßnahmen des NS-Regimes entweder ermordet, verfolgt und enteignet wurden, oder ihre Werke unter Wert verkaufen mussten. Diese Liste enthält aktuell rund 3.700 Personen. Trotz vermuteter Unvollständigkeit, wird hier zum ersten Mal die Dimension der Verfolgung von Künstlern und Sammlern deutlich.
Stellvertretend für die Künstlerinnen und Künstler möchten wir hier die Biographie von Curt Singer präsentieren, der in Hamburg aufgewachsen ist und laut kunsthistorischer Forschung in Deutschland 1938 in Paris den Freitod gewählt hat. Tatsächlich ist Curt Singer aber am 10. April 1989 im Kibbutz Nir Oz in Israel verstorben. Gerade dieses Beispiel, bei dem man jahrzehntelang davon ausgegangen ist, dass die Biographie geklärt ist, zeigt, wie wichtig dieses Thema auch heute noch ist. Aufgeklärt haben wir diesen historischen Fauxpas, nachdem wir ein Ölgemälde Curt Singers aus dem Jahre 1928 erstanden haben. Singer war zu diesem Zeitpunkt ein blinder Fleck in der Wikipedialiste.
Der Verkäufer des Werkes hatte in seinem Angebot geschrieben: "Ein sehr seltenes Werk dieses bedeutenden Hamburger Künstlers. Es existieren außerordentlich wenige Arbeiten vom ihm in Museen und Sammlungen, da Singer nur eine relativ kurze Schaffensperiode hatte. Curt Singer litt aufgrund von privaten, wirtschaftlichen und politischen Lebensumständen zunehmend an Depressionen und suchte 1938 in Paris den Freitod." Das war zum Zeitpunkt unseres Bildkaufs im Januar 2023 der Stand der Kunsthistorischen Forschung in Deutschland.
Da es bei Wikipedia keinen Eintrag gab, haben wir mit der Biographierecherche begonnen und schon kurz danach tauchten erste Merkwürdigkeiten auf. Hier die vollständige Biographie und das Endergebnis der Recherche.
Im Februar 2025 erhielten wir eine Anfrage des JDCRP bzgl. der Biographie auf unserer Website zu Curt Singer. Denn zur Veröffentlichung der ersten Liste verfolgter Künstlerinnen und Künstler sollte eine Fallstudie zu Curt Singer - PDF siehe oben - auf der Website des JDCRP veröffentlicht werden. Zum einen, weil wir die Kuriosität dieser Biographie offengelegt haben und zum anderen, weil eine Enkelin Curt Singers beim Überfall der Hamas im Oktober 2023 auf den Kibbuz Nir Oz als Geisel genommen und im Januar 2025 freigelassen wurde.
