Der Begriff der „Verschollenen Generation“ bezeichnet eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern, deren Leben und Werk maßgeblich durch die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüche der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt wurden und infolge von Krieg, Verfolgung, Emigration oder gezielter Ausgrenzung aus dem kulturellen Gedächtnis weitgehend verschwanden. Der Terminus „Verschollene Generation“ geht auf den Kunsthistoriker Rainer Zimmermann zurück, der 1980 mit seinem Werk „Die Kunst der verschollenen Generation“ auf das Schicksal dieser Maler aufmerksam machte.
Besonders im deutschsprachigen Raum ist diese Generation eng mit den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Diktatur verbunden. Viele dieser Künstler gehörten zu den innovativsten Stimmen ihrer Zeit. Sie arbeiteten in Strömungen wie dem Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit, dem Bauhaus-Umfeld oder der frühen Moderne. Ihre Werke spiegeln eine tiefe Auseinandersetzung mit den existenziellen Erfahrungen von Gewalt, Entfremdung, sozialem Wandel und politischer Instabilität wider. Statt ästhetischer Harmonie standen häufig Brüche, Verunsicherung und gesellschaftliche Kritik im Zentrum ihres Schaffens.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 setzte eine systematische Verfolgung dieser Künstler ein. Moderne Kunst wurde als „entartet“ diffamiert, Werke aus Museen entfernt, Ausstellungen verboten. Viele Kunstschaffende verloren ihre berufliche Existenz, wurden ins Exil gezwungen oder ermordet. Andere passten sich notgedrungen an, verstummten oder gingen in innere Emigration. Dadurch wurde die künstlerische Entwicklung dieser Generation abrupt unterbrochen, und zahlreiche Œuvres blieben fragmentarisch oder gingen vollständig verloren.
Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in den Nachbarstaaten im Osten und im Westen, wurden auch die Künstlerinnen und Künstler dieser Länder zu Opfern der NS-Ideologie. Zudem gerieten viele Künstler, die in den Jahren davor vor den Nazis in diese Länder geflüchtet waren, in die Fänge von SS und Gestapo.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte keine unmittelbare Wiederentdeckung dieser Künstler ein. Der kulturelle Wiederaufbau konzentrierte sich häufig auf neue Strömungen oder auf jene Namen, die bereits international etabliert waren. Viele Biografien der Verschollenen Generation blieben ungeklärt, Archive zerstört, Werke verstreut oder anonymisiert. Erst ab den späten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts begann eine allmähliche kunsthistorische Aufarbeitung, die das Ausmaß dieses kulturellen Verlustes sichtbar machte.
Heute wird die „Verschollene Generation“ zunehmend als ein zentrales Bindeglied der modernen Kunstgeschichte verstanden. Ihre Werke dokumentieren nicht nur ästhetische Entwicklungen, sondern sind zugleich historische Zeugnisse einer Epoche, in der Kunst und Freiheit untrennbar miteinander verbunden waren. Die Wiederentdeckung dieser Künstler bedeutet daher mehr als eine bloße Ergänzung des Kanons: Sie ist ein Akt kultureller Erinnerung und historischer Gerechtigkeit.
Die Auseinandersetzung mit der Verschollenen Generation macht deutlich, wie fragil kulturelles Erbe sein kann, wenn politische Macht Kunst instrumentalisiert oder zerstört. Gleichzeitig zeigt sie, dass verdrängte Stimmen zurückkehren können – durch Forschung, Ausstellungen und ein erneuertes Interesse an jenen Werken, die lange Zeit im Schatten der Geschichte standen.