Ernest Neuschul

*1895 Aussig / Böhmen ― †1968 London



Vor der Haustür




B i o g r a p h i e


Ernest Neuschul war Sudetendeutscher und wurde am 17. Mai 1895 in Aussig, heute Teschechien, damals Österreich-Ungarn in eine jüdische Familie geboren. In der Weimarer Republik gehörte er zu den bekanntesten Malern der Neuen Sachlichkeit. Er hat in Wien, Prag und Krakau studiert. Ab 1922 war er einige Jahre mit seiner Lebenspartnerin als javanisches Tänzerpaar auf Welttournee. Die beiden wurden so berühmt, dass man ihnen in New York ein eigenes Theater bauen wollte, wenn sie zehn Jahre dort auftreten.

Aber Ernest Neuschul konzentrierte sich wieder auf die Malerei und 1927 gelang ihm der Durchbruch nach mehreren Ausstellungen in Berlin, wo er lebte und arbeitete. Nach zwei Jahren Aufenthalt in Moskau erhielt er während der Stalinistischen Säuberungen 1937 den Rat, die Sowjetunion so schnell wie möglich zu verlassen. Bei Ausstellungen in seiner Heimatstadt Aussig kam es im gleichen Jahr zu antisemitischen Übergriffen, in deren Folge seine Bilder zerstört wurden. 1939 flüchtet Neuschul vor dem Zugriff der Nazis nach England und ändert 1946 seinen Namen in Ernest Norland. Deutschland hat er erst 1966 wieder betreten. Am 11. September 1968 starb er in London.


Kindheit und Jugend bis 1918

Ernst Neuschul wurde 1895 als ältester von drei Söhnen des Eisenwarenhändlers Josef Neuschul und seiner Ehefrau Jeanette, geborene Feldmann, in Aussig an der Elbe in Nordböhmen geboren. Nordböhmen gehörte damals zur Österreich-Ungarischen Monarchie und wurde 1918 zu einem Teil der neuen Tschechoslowakischen Republik. Die Familie Neuschul zählte zur angesehenen und einflussreichen jüdischen Gemeinde der Stadt. Neuschul besuchte das Staatliche Gymnasium in Aussig, das er ohne Abschluss verlassen hat.

Neuschul wollte gegen den Willen des Vaters ein Studium an der Kunstakademie in Prag aufnehmen. Dazu kam es allerdings nicht, da ihm die Eltern die finanzielle Unterstützung verweigerten. Deshalb arbeitete er in Prag als Anstreicher und besuchte als Externer die Kurse an der Akademie.

Anschließend ging er nach Wien, wo er die KuK Graphische Lehranstalt besuchte. Die drohende Einberufung zum Kriegsdienst veranlasste ihn, 1916 von Wien nach Krakau zu gehen, wo er seine Studien an der dortigen Kunstakademie fortsetzt. Er nahm Unterricht bei dem Jugendstilkünstler Józef Mehoffer (1869-1946). Ein aus dieser Zeit stammendes Tagebuch mit eigenen Gedichten und Zitaten von Künstlern und Philosophen und seinen eigenen Gedanken dazu, weist Neuschul als einen ernsthaft suchenden und an weltanschaulichen und kunsttheoretischen Fragen und Antworten interessierten jungen Menschen aus.


Prag und Berlin (1918–1922)

Im Sommer 1918 geht Neuschul nach Prag, wo er seine Studien an der Akademie der Bildenden Künste bei Professor Franz Thiele fortsetzt. Im August 1918 begegnet er in Prag der Holländisch-Javanischen Tänzerin Takka-Takka, bürgerlicher Name Lucie Lindermann (1890–1980), die in Berlin aufgewachsen ist und später seine Frau wird. Obwohl deutlich älter als er, ist er von der Exotik dieser Frau fasziniert. Im Juli 1919 hat Neuschul seine erste Einzelausstellung mit 39 Werken in Weinerts Salon in Prag. Wie ein Empfehlungsschreiben seines Professors belegt, beabsichtigt Neuschul Ende 1919 seine Studien an der Akademie der Bildenden Künste in Berlin fortzusetzen. Doch dazu kommt es nicht, weil Neuschul mit seiner späteren Frau Reisen nach Java und Ostindien unternommen hat.

Ab August 1920 ist Neuschul in der Wohnung seiner Lebenspartnerin Takka-Takka in Berlin- Charlottenburg gemeldet. Angeregt von ihren tänzerischen Fähigkeiten, befasst sich Neuschul mit ostindischem Tanz und schreibt Drehbücher zu Experimentalfilmen, die asiatische Mythen zum Thema haben. Er entwirft Tanzkostüme für seine Frau, die damit u.a. im Kursaal des Theaters von Luzern auftritt. Am 24. Juli 1922 heiraten Ernst und Takka-Takka in Berlin. In den Folgejahren wird sie sein wichtigstes Modell. In diesem Jahr hat Neuschul seine erste Einzelausstellung in Rom.


Als javanisches Tänzerpaar auf Welttournee (1922–1926)

Ab August 1922 gehen Takka-Takka und Ernest Neuschul unter dem Namen Yoga-Taro (Kenner des Yoga) als javanisches Tänzerpaar mit ihrem Programm „Asiatische Phantasien“ auf Tour durch Europa, die USA und Kanada. Den Abschluss bildeten Gastspiele in Fankfurt und Berlin. Diese erfolgreichen Jahre der Performance mit Takka-Takka sind Ausdruck für Neuschuls außergewöhnlich vielseitige Begabung. Wie seine Frau wurde auch er enthusiastisch als Tänzer gefeiert. Er nutzt die Reisen der Tournee zur Motivfindung zum Zeichnen, Malen, Fotografieren und zu Ausstellungen.

Zwischen den Tanzarrangements in Paris, Amsterdam, Rom, Madrid, New York und Montreal und vielen anderen Städten in Europa und den USA, leben er und Takka-Takka in Paris, Berlin oder in seiner Heimatstadt Aussig, wo auch Ausstellungen seiner Werke stattfinden. Aber schon zu der ersten Ausstellung in seiner Heimatstadt erscheint ein übler, antisemitischer Artikel gegen die Arbeiten des 28-jährigen Künstlers. Im Januar 1926 findet der letzte Auftritt des Paares im Wintergarten in Berlin statt. In diesem Jahr wird Neuschul Mitglied der „Novembergruppe“ in Berlin, mit der er in den Folgejahren etliche Ausstellungen hat. Hier macht er auch die Bekanntschaft mit den Malern Ludwig Meidner (1884-1966) und Arthur Segal (1875-1944).


Jahre in Berlin und Aussig (1926–1935)

Das Jahr 1927 bringt für Neuschul den großen Durchbruch. Erstmals wird er von einer breiten Öffentlichkeit in Deutschland zur Kenntnis genommen. Er beteiligt sich erfolgreich an acht Ausstellungen, davon sechs in Berlin. In 48 überlieferten Presseartikeln werden seine Arbeiten gewürdigt. Im selben Jahr erhält er einen Vertrag bei der renommierten Berliner Galerie Neumann-Nierendorf, der dem Künstler nun ein regelmäßiges Einkommen sichert. Auch in den Folgejahren beteiligt er sich an Ausstellungen in vielen deutschen Städten. Am 13. November 1928 werden Ernest Neuschul und Lucie Lindermann geschieden. 1929 wird er Mitglied im Reichsverband Bildender Künstler Deutschlands (RVBD). 1931 übernimmt Neuschul den Lehrstuhl für Zeichnen und Malerei der Städtischen Kunstschule Charlottenburg.

Das Selbstbildnis „Der Agitator“ von 1932 zeigt Neuschul am Vorabend Hitlerdeutschlands als antifaschistischen Kämpfer. 1933 wird Neuschul der letzte Vorsitzende der „Novembergruppe“ vor ihrem Verbot durch die Nazis. Bei seiner letzten Ausstellung im Februar 1933 im Haus der Künstler am Schöneberger Ufer in Berlin, werden die ausgestellten Werke beschlagnahmt und viele davon verbrannt oder anderweitig vernichtet. Unmittelbar nach diesen Ereignissen flüchtet Ernest Neuschul in die Tschechoslowakei. Takka-Takka und seine spätere zweite Frau Christl Bell retten seine Werke in seinem Berliner Atelier und bringen diese nach Aussig. Ernest Neuschul und Takka-Takka haben sich zwischenzeitlich getrennt. Am 03.02.1934 heiratet Neuschul seine zweite Frau Christl Bell. Am 25.03.1934 wird sein erster Sohn Til Peter geboren, dessen Vorname später in Khalil geändert wird. Mitte 1935 erhält Neuschul eine Einladung vom Moskauer Künstlerverband nach Moskau.


Jahre in Moskau und Aussig (1935–1937)

Am 06.09.1935 reisen Ernest Neuschul und seine Frau Christl mit 40 Werken, die zwischen 1929 und 1934 entstanden sind nach Moskau. Sie wohnen zunächst im Hotel Metropol und später in einer eigenen Wohnung. Gute Kontakte entwickeln sich zu anderen, damals in Moskau lebenden Künstlern durch den Club ausländischer Arbeiter und auch zu russischen Künstlern. Neuschul ist zunächst begeistert von dem, was er erlebt und besonders von den Menschen, die er kennenlernt.

Über seine Einzelausstellung im Museum für neue westliche Kunst in Moskau, berichtet die Prawda schon am zweiten Tag sehr positiv, so dass Neuschul in der Folgezeit etliche Aufträge erhält. Unter anderem erhält er den Auftrag Stalin und Dimitroff zu porträtieren. Am 01.01.1936 wird Neuschul Mitglied des Moskauer Künstlerverbandes und der Gewerkschaft der Sowjetkünstler. Einen Lehrstuhl an der Akademie der Bildenden Künste in Charkow lehnt Neuschul ab. Kurz vor Beginn der zweiten Stalinschen Säuberungen erhält Neuschul von Andrej Bubnow, Volkskommissar für Volksbildung und später selbst Opfer der Stalinprozesse, den Rat, Moskau so schnell wie möglich zu verlassen.

Im Februar 1936 hält Neuschul in Aussig einen Vortrag über die Sowjetunion. Im Juni 1936 berichtet die Bildbeilage „Die Welt am Sonntag“ der „Prager Presse“ ausführlich von seinem Aufenthalt in der Sowjetunion. 1937 findet seine letzte Ausstellung in seiner Heimatstadt statt. In dieser Ausstellung werden zwei Werke von ihm zerschnitten und mit Hakenkreuzen beschmiert. Am 03. November 1937 verlässt Neuschul seine Heimatstadt Aussig für immer und zieht mit seiner Familie nach Prag, bevor im Folgejahr die tschechoslowakischen Grenzgebiete von Hitlerdeutschland annektiert und zum neuen Gau „Sudetenland“ erklärt werden.


Jahre in Prag (1937–1939)

Neuschul wird Mitglied des Oskar-Kokoschka-Klubs und hält Vorträge über „Entartete Kunst“, zu der auch seine Werke erklärt wurden. In den ersten Monaten in Prag portraitiert er alleine dreimal den Tschechischen Staatspräsidenten Edvard Benes. 1938 ist Neuschul in einer verzweifelten Lage. Er steht auf der Schwarzen Liste der Nazis und von tschechischer Seite droht ihm als Sudetendeutschem die Auslieferung an das Dritte Reich. Viele seiner Freunde verlassen bereits Prag. Kokoschka und andere gehen nach England. Neuschul weiß, dass auch er sich wieder auf die Flucht begeben muss, aber er weiß nicht wohin. In die Sowjetunion will und kann er nicht.

Am 10.03.1939 meldet sich Neuschul polizeilich ab und lebt als Illegaler in Prag weiter. Über Wenzel Jaksch, ein Mitglied der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei der Tschechoslowakischen Republik DSAP - Neuschul war ebenfalls Mitglied - und dessen Verbindung zur British Labourparty wird es möglich, die Emigration von Neuschul und seiner Familie nach England in nur wenigen Tagen vorzubereiten. Weil die Gestapo in dieser Umbruchszeit noch nicht gleichgeschaltet ist, stellt die Deutsche Wehrmacht die Ausreiserlaubnis aus und mit dem letzten Zug, der von Prag nach Deutschland fährt die Familie Neuschul am 24.03.1939 über Holland nach England. Neuschuls Mutter, die wegen seinem kranken Bruder Prag nicht verlassen wollte, wird später mit den in Prag verbliebenen Familienmitgliedern in Auschwitz ermordet.


Letzter Lebensabschnitt in England (1939–1968)

Die Familie lebt zunächst in Mumbles bei Swansea in Wales. Am 19.05.1939 wird Neuschul Mitglied es Freien Deutschen Kulturbundes in England, der Free German Artists Association. Am 13.06.1943 wird der zweite Sohn Misha geboren. Neuschul hält Vorträge zur Geschichte der Kunst, wobei ihn deren soziale Aspekte besonders interessieren. 1946 entscheidet er sich, in England zu bleiben und zieht mit seiner Familie nach London. Als Absage an die Vergangenheit ändert er seinen Namen von Neuschul in „Norland“. Das Haus in London-Hampstead bewohnt er bis zu seinem Lebensende. Er unternimmt zahlreiche Reisen – 1966 zum ersten Mal nach Berlin. Bis zu seinem Tod finden sieben Einzelausstellungen statt. Am 11. September 1968 stirbt Ernest Neuschul im Alter von 73 Jahren.


Künstlerische Entwicklung

Zu Beginn seiner künstlerischen Betätigung war der Expressionismus en Vogue. Intensive Farben in abstrakten Formen. Diesen Stil wandelte Neuschul in den konkreteren Stil der Neuen Sachlichkeit. Zunächst waren Frauen sein bevorzugtes Thema, aber nach und nach fanden immer öfter sozialkritische Themen Eingang in sein Motivspektrum. Zunächst stellte er die Randgruppen der Gesellschaft dar. Er malte Trinker, oder zwielichtige Damen und dann immer öfter Motive aus der Arbeitswelt - Arbeiter auf dem Feld oder Arbeiter an ihren Maschinen. Die Darstellung von Menschen in der Arbeitswelt führte dann zur Einladung des Moskauer Künstlerverbandes. In Moskau gab man Neuschul allerdings zu verstehen, dass er die Arbeiter nicht in ihrer heutigen prekären Situation malen sollte, sondern im Stil des Sozialistischen Realismus und dem vom Kommunismus angestrebten Idealzustand. Das lehnte er ab.

Neuschul blieb sich treu und malte weiter das was er sah und nicht das, was er sehen sollte. Nach dem Krieg hat er seinen Stil weiter abstrahiert, konnte aber wie auch andere Emigranten, die Deutschland für immer verlassen haben, wie z.B. George Grosz, nicht mehr an den Erfolg anknüpfen, den er vor seiner Flucht hatte. In Deutschland wiederentdeckt wurde er im Jahre 2002, als das Kunstforum Ostdeutsche Geschichte in Zusammenarbeit mit der Tschechischen Republik in Regensburg eine vierwöchige Ausstellung seiner Bilder zeigte. Viele seiner Bilder wurden vernichtet, viele sind verschollen. In der Ausstellung in Regensburg wurden vorwiegend Werke aus Tschechischen und Deutschen Museen, sowie private Leihgaben gezeigt.

Das Werk in unserer Sammlung war im Januar 1927 in einer Ausstellung der Galerie Neuman & Nierendorf unter dem Titel Kinderbildnis zum erstenmal zu sehen. Die Ausstellung trug den Namen Das Problem der Bildnisgestaltung in der Jungen Kunst. Es war die erste Ausstellung Neusachlicher Werke in Berlin. 1929 ist Neuschuls Kinderbild unter der Bezeichnung Vor der Haustür auf der Titelseite der Nr. 27 der Zeitschrift Jugend. Sie erschien von 1896 bis 1940 in München - immer am Puls der Zeit. Nach ihr wurde übrigens der Jugendstil benannt, da sie das erste Medium war, das die Werke dieser neuen Stilrichtung gezeigt hat. Anschließend galt Neuschuls Kinderbildnis jahrzehntelang als verschollen und tauchte erst 2002 wieder auf - kurz vor der Ausstellung seiner Werke im Regensburger Museum Ostdeutsche Galerie. Der Berliner Galerist Hendrik A. Berinson hat es in London entdeckt und erworben und kurz vor ihrer Eröffnung in die Ausstellung gegeben. Siehe Bericht zu den Ausstellungen.


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