Josef Friedrich Limmer

*1892 Kelheim
†1967 München

Josef Friedrich Limmer

Dreifach Selbstporträt

Josef Friedrich Limmer

Wandervögel

Josef Friedrich Limmer

Armageddon

Josef Friedrich Limmer

Der Tod im Schützengraben

 

 

 

Biographie

 

Der Maler und Bildhauer Josef Friedrich Limmer ist einer der wenigen Maler, der in Deutschland lebend, zwischen 1933 und 1945 regimekritische Werke geschaffen hat. Stilistisch sind viele seiner Werke dem Magischen Realismus zuzuordnen. Es ist kaum zu verstehen, dass ein Maler, der während der NS-Zeit mit seinen Werken erhebliche persönliche Risiken eingegangen ist, anschließend in Vergessenheit gerät. Das ist umso unverständlicher, weil auch die künstlerischen Qualitäten von Josef Limmer unverkennbar sind. Wir sind der Meinung, dass dieser Maler eine deutlichere Würdigung in der Kunstliteratur erfahren muss.

Bisher war wenig über Josef Limmer bekannt. Uns ist es gelungen, seinen schriftlichen Nachlass zu finden und zu erwerben, so dass sich nun ein klares Bild über das Leben und die Ausbildung von Josef Limmer ergibt. Dabei zeigt sich, dass Limmer nicht nur als Maler Autodidakt war, sondern ein künstlerischer Allrounder. Die folgenden Daten basieren auf einem handgeschriebenen Lebenslauf Limmers, den er vermutlich Ende 1938 verfasst hat, als er sich auf eine Stelle bei der Stadt Regensburg beworben hat.

Militärzeit und berufliche Ausbildung

Josef Limmer wurde am 21. Oktober 1892 als Sohn eines Lehrers in Kelheim geboren. Er besuchte zunächst die Volksschule und durchlief ab 1905 die Präparandenschule in Deggendorf als Vorbeitung auf das Lehrerseminar, das er in Straubing absolvierte.

1911 diente er als Einjährig-Freiwilliger (EF) in der Kaiserlichen Armee und beendete seinen Dienst als Sergeant der Infanterie. Im Oktober 1912 erhielt er seine erste Anstellung als Lehrer in Kötzting.

Ab 1914 kämpfte Josef Limmer als Frontsoldat in den Vogesen und erhielt an Weihnachten desselben Jahres sein Offizierspatent als Leutnant der Kaiserlichen Armee. Am 24. November 1915 heiratete er Emilie Streber, die Tochter des Münchener Hofrates Dr. Ignaz Streber. Am 22. Juni 1915 wurde er bei der Erstürmung der Höhe von Le Ban de Sapt schwer verwundet. Nach seiner Genesung wurde er 1917 zum Generalkommando nach Nürnberg versetzt, wo er bis Ende Februar 1919 tätig war.

Ab März 1919 übernahm er einen Lehrerposten an der Volksschule in Abensberg, wo er gewerbliche Abteilungen für Holz- und Metallbearbeitung einrichtete. Hier beschäftigte er sich praktisch mit dem Handwerk des Buchdrucks und erarbeitete sich Kenntnisse im Holz- und Linolschnitt, sowie in der Zinkätzung. Der Abschluss dieser Arbeit war das Eigenwerk "Das zeichnende Kind", in dem er pädagogische Ratschläge für den Zeichenunterricht gibt. 1921 wurde Limmer zum Studium am Gewerbelehrer-Institut in München einberufen, wo er in zwei Semestern die Ausbildung zum Gewerbelehrer durchlief.

1927 wurde er an die Volksschule in Passau versetzt und sollte später an der dortigen Gewerbeschule arbeiten. Dazu kam es allerdings nicht, da ab 1930 an der Volksschule ein hauptamtlicher Religionslehrer benötigt wurde, zu dem Limmer dann ernannt wurde.

In den Jahren als Lehrer beschäftigte sich Limmer in den Wintermonaten mit der Metallverarbeitung und stellte aus Kupfer, Messing und Silber Leuchter, Schatullen oder Halsketten her. Im Sommer betätigte er sich als Landschaftsmaler, oder schuf Akte in Öl und Aquarell. Auch bildhauerisch war er tätig und modellierte in Lehm und experimentierte an Rotbrand und Kunststeinguss.

Nationalsozialismus

1933 wurde Limmer als Maler in die Reichskulturkammer aufgenommen. Das war nur möglich auf eigenen Antrag, bei dem auch ein Ariernachweis erforderlich war. Künstler, die nicht Mitglied waren, durften ihre Bilder nicht mehr ausstellen. Ausstellen konnte Josef Limmer seine Werke zwischen 1933 und 1935 bei der Großen Pädagogischen Ausstellung in München und im Kunst- und Gewerbeverein Regensburg. Dort hat er 1934 an der 9. Jahresschau "Oberpfälzisch-Niederbayerische Kunst und Kunstgewerbe" sowie 1935 an der 10. Jahresschau "Kunst und Kunstgewerbe der Bayerischen Ostmark" teilgenommen. Weitere Ausstellungsbeteiligungen sind bisher nicht bekannt.

Beim Machtantritt der Nazis war er Hauptlehrer an der Innstadtschule in Passau und versuchte als Religionslehrer den Schülern "die biblischen Stoffe zeichnerisch zu vermitteln", wie in einem Gutachten der philosophisch-theologischen Hochschule Passau über seine Unterrichtsweise festgestellt wurde.

In einer Rezension seines Buches "Das zeichnende Kind" ist Ende 1932 im Niederbayrischen Schulanzeiger zu lesen: "Er steht auf dem Boden einer 'vom Kinde aus' orientierten Pädagogik und huldigt Pestalozzis Grundidee von der 'Spontanietät' und dem 'selbstschöpferischen' Moment in aller Bildung." Das entsprach natürlich nicht dem Bildungsideal der Nazis, sondern war eher das genaue Gegenteil davon und damit waren Limmers Probleme vorprogrammiert.

Tatsächlich stand er ab 1933 unter Beobachtung, wie aus einem Schreiben des NS-Lehrerbundes Passau an den Hauptlehrer Limmer vom 8. Juni 1937 ersichtlich ist. Da es ein wichtiges Dokument ist, das die Einstellung Limmers zum NS-Staat wiederspiegelt, zeigen wir es im Original:


Josef Friedrich Limmer



Dieses Schreiben zeigt zum einen, dass Limmer offensichtlich nicht gewillt war, sich in die nationalsozialistische Volksgemeinschaft zu integrieren, weshalb er verwarnt wurde, mit Androhung der Meldung bei der Kreis- und Gauleitung der NSDAP. Zum Zweiten zeigt das Schreiben, dass Limmer wohl von seinen Lehrerkollegen über Jahre als "politisch unzuverlässig" denunziert wurde. Damit liefert dieses Schreiben den Kontext zu seinen regimekritischen Bildern.

Wie ein Schreiben des Oberbürgermeisters der Stadt Regensburg vom 11. Januar 1939 an Limmer zeigt, hat sich dieser Ende 1938 auf eine Stelle bei der Stadt Regensburg beworben. Für welche Stelle ist unklar - vermutlich aber nicht für eine Lehrerstelle, denn dann wäre die Bewerbung an die Schulbehörde gegangen. Limmers Bewerbung wurde mit folgender Begründung abgelehnt:

"Wir bedauern, Ihrem Gesuch vom 13.12.38 wegen Ihres vorgerückten Alters und den damit verbundenen Problemen mit dem Versorgungsverband nicht entsprechen zu können."

Offensichtlich wollte Limmer weg von Passau und auch nicht weiter als Lehrer arbeiten. Die Begründung für seine Ablehnung scheint vorgeschoben, denn Limmer war zu diesem Zeitpunkt erst 46 Jahre alt. Dass Limmer nicht weiter als Religionslehrer arbeiten wollte, ist plausibel, denn das NS-Regime versuchte den Religionsunterricht mit Hilfe des NS-Lehrerbundes an seine Ideologie anzupassen. Geistliche und Religionslehrer, die sich dem widersetzten, wurden wegen ihrer Haltung verfolgt, entlassen oder inhaftiert. Vermutlich war das der Grund für Limmers Versuch, den Lehrerberuf aufzugeben. Der schriftliche Nachlass zeigt, dass Limmer nicht nur pro forma Religionslehrer war, sondern auch ein eher religiöser Mensch.

In diesem Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass wir im Nachlass einen "Erlaubnisschein für Gift" gefunden haben, der auf den 19. Dezember 1940 datiert ist. Limmer hatte die Erlaubnis zum Kauf von "Cyanki" beantragt. Cyanki war wohl der Name eines Zyankaliproduktes. Begründet hat Limmer den Antrag mit der Verwendung für seine Bildhauerei. Zyankali steht für Kaliumcyanid, das tatsächlich zur Metallveredlung eingesetzt werden kann. Allerdings auch zur Selbsttötung. Diese Bescheinigung war nur 14 Tage nach ihrer Ausstellung gültig. Es stellt sich die Frage, warum Limmer diesen Schein über Jahrzehnte aufbewahrt hat, wenn er das Zyankali "nur" für seine Bildhauerei benötigt hätte?

An dieser Stelle sind Spekulationen möglich. Vor dem Hintergrund des bisher Bekannten ist es durchaus denkbar, dass Limmer weitere Repressalien befürchtete und das Gift ihm die Möglichkeit gegeben hätte, diesen durch Freitod zu entgehen. Die Tatsache, dass dieser Schein noch in Limmers Nachlass zu finden war, bedeutet aber, dass er damit kein Gift gekauft hat, denn dann hätte er ihn beim Verkäufer abgeben müssen. Wir wissen natürlich nicht, ob er schon vorher oder danach Anträge gestellt hat, um in Besitz von Zyankali zu kommen. Man kann aber davon ausgehen, dass Limmer im Besitz von Zyankali war, da er es sich jederzeit legal beschaffen konnte.

Nachkriegszeit

Josef Limmer hat die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg unversehrt überstanden - auch sein Frühwerk blieb erhalten. Am 29. Okober 1945 wurde Limmer Mitglied im Berufsverband Bildender Künstler München e.V. Am 16. Mai 1946 erhielt er vom Gewerbeamt der Stadt München die Genehmigung, das Gewerbe "Kunstmaler und Bildhauer" zu betreiben. Er arbeitete weiter als Lehrer in Passau und wurde im Juli 1958 als "Oberlehrer an Volksschulen" in den Ruhestand versetzt. Ob es nach dem Krieg weitere Ausstellungen gab, ist bisher nicht bekannt. Verstorben ist Josef Friedrich Limmer am 30. Juni 1967 in München. Letzter Wohnort war die Reitmorstraße 52.

Fazit

Limmer hat durch seine regimekritischen Werke keine beruflichen Nachteile erlitten. Das lässt darauf schließen, dass er diese damals nicht öffentlich gemacht hat, sondern vermutlich nur im Kreis seiner engsten Freunde gezeigt hat. Trotzdem war das Malen solcher Werke zur damaligen Zeit mit einem erheblichen Risiko verbunden. Möglicherweise waren diese Werke ein Ventil für ihn, die Zwänge und Probleme, die ihm durch den Wechsel von der Demokratie zur Diktatur entstanden sind, zu verarbeiten und für die Nachwelt festzuhalten. Deshalb sind seine Werke und seine Historie es wert, sichtbar zu bleiben und nicht in Vergessenheit zu geraten.



Künstlerische Rezeption

Limmers Werke mit politischer Thematik sind tiefgründig. Den Kontext muss man sich auf der Basis historischer Kenntnisse erarbeiten. Seine Werke regen zum Nachdenken an und sind letztendlich in ihrer Kernaussage eindeutig:

Die Toten fluchen - von 1931

Zu sehen ist eine abendliche Großstadtszene mit einem blinden Kriegsversehrten im Vordergrund, der einen Bauchladen vor sich herträgt. Die schwarz-weiß-rote Fahne des untergegangenen Kaiserreichs an seinem Hut zeigt, dass er ein Gegner der Weimarer Republik ist, deren Flagge schwarz-rot-gold war. An seinem Bauchladen befestigt sind ein Stahlhelm und ein Bajonett, die zeigen, dass er auch als Blinder 13 Jahre nach Kriegsende noch kampfbereit ist. Ebenfalls am Bauchladen gut sichtbar befestigt, ein Schild mit der Aufschrift "Die Toten fluchen!" Damit wird suggeriert, dass auch die Gefallenen des Ersten Weltkrieges nicht mit der republikanischen Staatsform einverstanden wären und dafür nicht gekämpft haben und auch nicht gestorben sind. Mit den Luftballons soll an die Kriegsjahre erinnert werden, denn die Ballons tragen die Jahreszahlen von 1914 bis 1918. In seinem Bauchladen hat der Blinde allerdings nur Totenköpfe anzubieten und damit macht Limmer seine Sicht der Dinge klar: der Kampf gegen die Republik wird wieder zu vielen Toten führen. Fazit: dieses Werk ist eine subtile aber eindeutige Kritik Limmers an den Gegnern der Weimarer Republik.

Wandervögel - von 1934

Zwischen 1933 und 1935 wurden alle freien Wandervogel- und Jugendbünde bis hin zu den Pfadfindern von den Nationalsozialisten verboten, unterdrückt und gleichgeschaltet in die Hitlerjugend überführt.

Auf dem Blatt aus dem Jahre 1934 mit dem Schriftzug "Wandervögel" sind zwei unsympathische Gestalten zu sehen, die statt einem Rucksack einen Sarg auf dem Rücken tragen. Symbolisch wird hier die Wandervogelbewegung zu Grabe getragen. Die Figur im Hintergrund hält schon das Grabkreuz bereit. Aus den beiden Köpfen ragen Stangen, oder Antennen, die über ein leeres Spruchband miteinander verbunden sind. Im Vordergrund marschiert eine dichtgedrängte Menschenmenge mit Reichs- und Hakenkreuzfahnen im Gleichschritt aus einem Volksempfänger. Die Flagge am Planwagen ist ein Symbol der Wandervogelbewegung.

Außerdem ist eine Sonne zu sehen, mit einem linksdrehenden Hakenkreuz in ihrem Zentrum. Das linksdrehende Hakenkreuz wird im Hinduismus der Göttin Kali zugeordnet, die für Tod und Zerstörung steht. Das linksdrehende Hakenkreuz ist somit ein Symbol für den Untergang. Es ist davon auszugehen, dass Limmer diese Bedeutung kannte und damit ist hier nicht, wie man zunächst annehmen könnte, ein Sonnenaufgang, sondern ein Sonnenuntergang zu sehen. Limmer hat wohl sehr früh erkannt, dass die NS-Ideologie ins Verderben führt. Dieses Werk ist ein historisch bedeutendes und zur damaligen Zeit politisch brisantes Blatt eines regimekritischen Künstlers.

Armageddon - von 1938

Nach der Machtübernahme der Nazis am 30. Januar 1933 stellte Limmer Holzschnitte her mit dem Motiv Der Tod aus dem Schützengraben und machte damit klar, dass die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler Krieg bedeuten wird. In seinem Werk Armageddon nimmt Limmer 1938 das Ergebnis der nationalsozialistischen Herrschaft in erstaunlicher Klarheit vorweg: die Zerstörung Deutschlands. Zu sehen ist ein Fabrikgelände, auf dem die Arbeiter noch ahnungslos vor sich hin werkeln und die Gefahr, die von oben droht, noch nicht zur Kenntnis nehmen. Mehrere Flugzeuge am Himmel sollen zeigen, dass die Bomber schon im Anflug sind. Ein Jahr vor Kriegsbeginn am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen, hat Limmer das Ergebnis dieses Krieges mit seinem Werk Armageddon schon sehr klar vorhergesehen.

Dreifach Selbstporträt 22.VI.1915 - um 1930

Mit seinem Titel 22.VI.1915, der im Gemälde unten rechts deutlich sichtbar vermerkt ist, erinnert dieses Werk an Limmers Verwundung im Ersten Weltkrieg am 22. Juni 1915 in den Vogesen. Es stellt Limmer einmal als Frontsoldat mit Pickelhaube dar, als Mitarbeiter im Generalkommando mit Schirmmütze und als Zivilist mit Anzug und Fliege. Auf der rechten Seite des Bildes ist an der Anzugjacke neben dem Revers das Verwundetenabzeichen in Schwarz mit Stahlhelm und gekreuzten Schwertern zu erkennen. Hinten links ist ein Stacheldrahtverhau zu sehen, der sich üblicherweise vor den Schützengräben befand. Nach rehts geht der Stacheldrahtverhau in einen Friedhof mit weissen Grabkreuzen über. Und ganz im Hintergrund sind rechts die beiden Türme einer Kirche, ähnlich denen des Kölner Doms, zu sehen.

Spätwerk

Nach seinen apokalyptischen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg mit seiner schweren Verwundung und den Anfeindungen während der NS-Zeit, ist es verständlich, dass Limmers Spätwerk sich stark von seinem Frühwerk unterscheidet. Josef Limmer malt glückliche Kinder, mythologische Halbwesen, Zwerge und Berggeister. Kurz gesagt, Josef Limmer malte eine heile Welt, mit der er das in den Jahrzehnten davor erlebte Leid kompensieren wollte.


Josef Friedrich Limmer

Josef Friedrich Limmer 1959

Josef Friedrich Limmer

Josef Friedrich Limmer 1930

Josef Friedrich Limmer

Die Toten fluchen